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Wie ein Fundstück den Blick auf Suiseki lenkte – und auf das, was Bonsai-Ausstellungen oft nur am Rand zeigen: die Kunst, den richtigen Sockel zu schaffen.
Kennst du dieses Gefühl? Du bist auf einer Bonsaiausstellung, schaust dich um – Bäume, Schalen, Draht, Gespräche – und dann bleibt dein Blick an etwas hängen. Kein Baum, kein Mensch, sondern… ein Stein.
Unscheinbar? Vielleicht.
Aber irgendetwas daran zieht dich magisch an. Die Form. Die Ruhe. Die Präsenz.
So ging’s mir. Oder besser gesagt: So kam der Anstoß.
Nein, kein Schicksalspfad, kein spiritueller Erwachungsmoment – sondern ein echter Stein. Ein Fundstück aus dem Nachlass meiner Mutter, das jahrelang irgendwo lag, fast beiläufig. Und plötzlich, nach mehreren Besuchen auf Bonsaiausstellungen in diesem Jahr, war klar: Der hat was. Nicht als Baustelle. Sondern als Suiseki.
Und da fing das Abenteuer an.

Suiseki? Klingt erstmal wie Sushi für Fortgeschrittene
Falls du mit dem Begriff noch nicht viel anfangen kannst: Suiseki bedeutet „Wasserstein“. In der japanischen Kunsttradition steht er für Betrachtung, nicht für Funktion. Er hat nichts zu tun mit Aquarien oder Steinbeeten. Sondern mit Stillstand. Achtsamkeit. Und der Fähigkeit, etwas in einem Stein zu sehen, das nicht sichtbar ist.
Ein Suiseki ist kein Sammelobjekt für die Vitrine. Er ist eine Einladung. Zum Staunen. Zum Deuten. Zum Entschleunigen. Und – vielleicht der spannendste Punkt für uns Bonsai-Enthusiasten – zur Gestaltung eines Rahmens.
Denn ein Stein für sich kann faszinierend sein. Aber erst das passende Dai – der individuell angepasste Holzsockel – macht aus ihm ein Kunstobjekt. Kein Zubehör. Sondern Bühne.
Und dann stand er da – der Stein. Und ich so: „Na gut, jetzt machen wir’s richtig.“
Ein Fundstück aus der Familie. Eine neue Perspektive. Und eine kleine Herausforderung: Wie macht man das eigentlich – so ein Dai?
Spoiler: Es ist kein Hexenwerk. Aber es ist auch kein 08/15-Projekt.
Denn ein Dai ist keine bloße Halterung. Es ist das, was der Stein nicht kann: Haltung zeigen.
Schritt 1: Den Stein wirklich sehen
Bevor du ans Werkzeug gehst: Guck dir deinen Stein genau an. Und damit ist nicht gemeint, ihn einmal von allen Seiten zu drehen. Es geht um mehr.
Welche Assoziationen weckt er? Sieht er aus wie ein Gebirge? Eine Hügellandschaft? Eine Insel im Nebel?
Wie steht er „gut“? Also stabil, aber mit Ausstrahlung? Welche Seite ist „die Schauseite“?
Manchmal hilft es, ihn einfach mal ein paar Tage auf den Tisch zu legen. Jeden Tag vorbeigehen, hinschauen, wirken lassen. Klingt meditativ? Ist es auch ein bisschen. Und das ist gut so.
Denn: Ein Dai soll nicht den Stein dominieren – es soll ihn tragen. Wie ein ruhiger Kompagnon, der weiß, wann er sich zurücknimmt.
Schritt 2: Die Form planen – mit Gefühl, nicht mit CAD
Jetzt wird’s praktisch. Aber noch nicht holzig.
Denn zuerst kommt die Skizze. Oder besser gesagt: die Idee.
Was soll das Dai leisten?
- Es soll den Stein stabil halten
- Die natürlichen Linien unterstützen
- Nicht zu dick sein – aber auch nicht zu schmal
- Und vor allem: stimmig wirken
Viele Bonsai-Freunde greifen an dieser Stelle zur Knetmasse oder zu dicker Pappe. Eine Art Prototyp, den man direkt unter den Stein legt, ist Gold wert.
Warum? Weil du so merkst, ob du mit deiner Idee auf dem richtigen Weg bist.
Und weil Papier geduldig ist – Holz eher nicht.
Schritt 3: Holz auswählen – die stille Hauptrolle
Was eignet sich? Kirschbaum, Nussbaum, Mahagoni – je nach Steinfarbe und gewünschter Wirkung. Wichtig: keine auffällige Maserung, die dem Stein die Show stiehlt.
Das Holz sollte trocken sein, plan geschliffen und frei von Harz oder Rissen. Klingt nach Tischler-Level? Nicht zwingend. Ein gutes Stück Massivholz aus dem Baumarkt oder Schreinerbestand tut’s völlig.
Wenn du’s edel magst: Frag mal in einer Tischlerei nach Reststücken. Oft gibt’s da Schätze zu kleinen Preisen. Und ein Suiseki-Dai braucht kein halbes Brett. Meist reicht ein DIN-A5-großes Stück.
Schritt 4: Raspeln, Feilen, Schleifen – und Fluchen?
Jetzt wird’s spannend.
Der Stein liegt auf dem Holz. Der Umriss ist übertragen. Jetzt beginnt der eigentliche Prozess.
Mit einer Dekupiersäge (oder auch einer Laubsäge, wenn du Zeit und Geduld hast) schneidest du die Grundform aus. Dann kommen Raspel, Feile, Schleifpapier – und ja: ein bisschen Ehrgeiz.
Denn ein Dai ist keine Schale. Es hat keine „Wände“. Es ist ein flacher Sockel, der exakt an die Steinkonturen angepasst ist.
Je nach Steinform bedeutet das: viel Nacharbeit. Stellen, die nach innen gehen. Kleine Wölbungen. Kanten, die nicht wie eine Kante wirken sollen.
Aber genau da liegt die Kunst. Und auch der Spaß.
Oder besser gesagt: das Flow-Gefühl. Wenn du plötzlich merkst, wie sich der Stein „einbettet“. Wenn die Übergänge weich wirken. Wenn alles ineinander greift.
Zwischendurch die Frage: Warum macht man das eigentlich?
Warum so viel Aufwand für einen Stein?
Ganz einfach: Weil es nicht nur um den Stein geht. Sondern um das, was er auslöst.
Suiseki ist nicht Bonsai – aber verwandt in der Haltung.
Du gestaltest nichts Lebendiges. Du stylst nichts. Du formst nicht.
Du beobachtest. Und schaffst einen Rahmen.
Das ist eine Haltung, die auch im Bonsai gut tut. Nicht immer Eingreifen. Sondern auch mal: Raum geben.
Schritt 5: Oberfläche behandeln – aber bitte mit Zurückhaltung
Wenn die Form passt: Schleifen. Feinschliff. Mit 240er Papier aufwärts, gerne bis 600 oder mehr.
Dann Öl oder Wachs – keine glänzenden Lacke. Die Oberfläche soll matt bleiben, warm wirken.
Wie gesagt: kein Möbelstück. Keine Bühne. Sondern ein stiller Träger.
Am besten eignet sich Hartwachsöl oder ein traditionelles Holzöl. Zwei, drei Schichten, mit jeweils feinem Zwischenschliff. Dann ein Baumwolltuch. Und Ruhe.
Denn nach dem Schleifen ist vor dem Staunen.
Schritt 6: Zusammensetzen – oder besser: Zusammenwirken
Jetzt kommt der Moment, wo du den Stein das erste Mal auf dein fertiges Dai legst.
Wenn du alles richtig gemacht hast, passiert was Spannendes: Es wirkt einfach stimmig. Keine Fragezeichen. Kein „passt fast“. Sondern so, als hätte das schon immer so gehört.
Und genau das ist der Zauber. Ein Moment der Harmonie – ganz ohne Bonsaischere.
Was passiert dann?
Idealerweise: nichts. Der Stein steht einfach da. Still. Und sagt trotzdem alles.
Du wirst ihn vielleicht ab und zu umstellen. Mal auf den Kaminsims. Mal auf den Ausstellungstisch. Mal in die Vitrine. Aber eigentlich steht er am liebsten da, wo du oft vorbeikommst. Ohne es zu planen.
Denn Suiseki ist nicht zum Vorzeigen da. Sondern zum Innehalten.
Ein kleiner Ausflug, der viel verändert
Was als Zufall begann – ein Stein aus der Familienkiste – wurde ein kleiner Umweg im Bonsai-Alltag. Aber einer, der viel verändert hat.
Denn wer sich einmal mit Suiseki beschäftigt hat, sieht auch Bonsai anders. Mit mehr Geduld. Mit mehr Raum. Und mit einer neuen Lust, nicht immer nur zu gestalten, sondern auch einfach mal zu betrachten.
Jetzt du!
Hast du auch irgendwo so einen Stein?
Etwas, das dir bisher bedeutungslos erschien – aber vielleicht mehr ist als nur ein Fundstück?
Dann schau ihn dir nochmal an. Vielleicht ist er ja dein Stein des Anstoßes.
Und wenn du dir unsicher bist, ob das wirklich was werden kann – frag nach. In deiner Bonsai-Gruppe. Beim nächsten Stammtisch. Oder hier in den Kommentaren.
Denn: Suiseki ist keine Einsamkeitskunst. Es lebt vom Austausch. Vom gemeinsamen Staunen.


Lust bekommen, es selbst zu probieren?
Dann fang klein an. Nimm dir Zeit. Und sei nicht überrascht, wenn du plötzlich öfter auf den Boden schaust – nach dem nächsten Fundstück.
Denn manchmal reicht ein kleiner Stein, um den Blick zu verändern. Und manchmal ist genau das der Anfang von etwas sehr Eigenem.
Teile deine Erfahrung! Denn manchmal ist der Stein des Anstoßes genau das, was uns weiterbringt.
Teil II kommt. Mit Holz, Stein – und offenem Ausgang.
Bis hierher war alles noch graue Theorie – zugegeben. Bisher ging’s ums Stöbern, Recherchieren, Ideen spinnen. Der Stein hat den Anstoß gegeben (im wahrsten Sinne), aber noch liegt er unberührt auf dem Regal. Und das Holz? Muss ich noch finden.
Wenn das Holz gefunden wurde, heißt es: Ran an den Werkstoff.
Dai bauen. Suiseki formen. Oder besser: begleiten.
Wie das wird? Keine Ahnung. Vielleicht ein Volltreffer. Vielleicht auch eine schräge Konstruktion mit viel Potenzial zur Optimierung.
Aber genau das ist der Punkt: Ich werde berichten – im Part II.
Ganz egal, ob’s läuft oder ruckelt. Der Weg zählt. Und den teile ich mit dir – ungeschönt, aber mit einem Augenzwinkern.
Bleib dran. Es wird spannend.
Meine ersten Versuche 2018
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