Wenn Schalen fliegen lernen
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… Sturm, Kintsugi und ein neues „Schuhwerk“ für die Linde
Kennst du das? Es gibt diese Tage, da erwachst du mit dem Gedanken: „Heute wird ruhig. Nur gießen, etwas drahten, vielleicht Moos kratzen.“ Und dann… kommt der Sturm.
Am 23. Juni 2025 hat Berlin gezeigt, was Wind alles kann. Hagel wie Kieselsteine. Äste wie Peitschen. Blumentöpfe auf Abwegen. Und mittendrin: ein Bonsai, der Fliegen gelernt hat. Zumindest fast. Der Baum selbst? Robust, zäh, flexibel wie ein Gymnast. Die Schale? Tja… sie wollte nicht mehr ganz so mitspielen.
Ein Flugversuch mit Folgen
Vielleicht hast du es selbst gesehen: Regen prasselt, der Wind rüttelt an der Fensterfront, dein Herz rüttelt mit. Stehen sie noch?. Ein Blick nach draußen – Schalen liegen da wie umgekippte Kaffeetassen nach einem Montagmorgen ohne Kaffee.
Diese eine Schale hatte es besonders getroffen. Ein massiver, rechteckiger Keramiktopf, beige mit sanfter Craquelé-Struktur. Zerborsten. Nicht in staubfeine Splitter – nein, richtige, massive Bruchstücke. Die Art Bruchstücke, die leise flüstern: „Da geht noch was.“
Kintsugi – die Kunst, Brüche nicht zu verstecken
Warum wegwerfen, was Geschichte hat? Kintsugi ist wie Bonsaipflege selbst: Geduld, Wertschätzung und ein bisschen Demut. Die alten Japaner haben nicht grundlos Goldlack genutzt, um Scherben wieder zu vereinen. Für sie war der Bruch kein Makel. Sondern Teil der Reise.
Natürlich – nicht jeder hat Goldlack im Schrank stehen. Aber dieses kleine Kintsugi-Set von Amazon? Praktisch, kompakt, kein Firlefanz. Enthalten: Epoxidharz, Goldpulver, Schleifpapier, Holzspatel. Reicht vollkommen, um einer Bonsaischale ihren Stolz zurückzugeben.
Reinigung: Keine halben Sachen
Staub und Erde kleben an jeder Bruchkante. Also: Scherben säubern. Gründlich. Warmes Wasser, sanftes Spülmittel, weiche Bürste. Wie beim Reinigen der Bonsaischeren – schnell ist nichts, Gründlichkeit alles.
Denn was passiert, wenn Erdpartikel im Kleber hängen bleiben? Genau. Er hält nicht. Und irgendwann knackt es erneut… mitten in der Gießrunde. Keine schöne Vorstellung.
Schleifen: Kanten vorbereiten
Das Schleifen danach? Pure Mediation. Jeder Millimeter zählt. Bruchkanten leicht anrauen, damit der Kleber greift. Nicht abschleifen (manchmal dann doch mit DRemel &Co), nur anrauen. Wie beim Anritzen von dicken Wurzeln vor dem Schneiden: Es sieht brutal aus, sorgt aber für ein besseres Ergebnis.
Und währenddessen dieser Gedanke: „Was hat diese Schale wohl schon alles erlebt?“ Vielleicht war sie einst Zuhause einer Wacholdergruppe. Oder einer uralten Schwarzkiefer. Bonsaischalen sind stille Zeugen – bis der Wind sie zum Sprechen bringt.
Kleben: Präzision schlägt Geschwindigkeit
Jetzt beginnt der Teil, bei dem keiner gestört werden möchte. Ruhe. Fokus. Kein Handy, keine Mails, keine Nachrichten über gestürzte Bäume im Park. Nur Kleber, Goldpulver, Pinsel.
Eine dünne Schicht Harz auftragen, Bruchstücke millimetergenau zusammensetzen, kurz fixieren. Spürst du, wie der Moment knistert? Diese Art knistern, wenn zwei Teile wieder zueinander finden. Fast romantisch.
Das Goldpulver wird sanft eingearbeitet. Ein Hauch von Glanz. Nicht protzig, sondern dezent – wie ein feiner Gürtel zu einem eleganten Kimono.
Geduld: die wichtigste Zutat
Und dann? Warten. Aushärten. Nein, nicht nur „ein bisschen warten“. Richtig warten. 24 Stunden mindestens und das mehrfach Wie bei Jin-Behandlungen mit Kalkschwefel: Wer es zu früh abspült, ruiniert alles. Geduld wird belohnt – immer.
Ein neues „Schuhwerk“ für die Linde
Nach ein paar Tagen war es soweit. Die Schale stand wieder da, stolz, stabil, golden veredelt. Zeit, ihr neues Leben einzuhauchen. Diesmal mit einer jungen Linde. Ihre feinen Wurzeln legten sich sanft auf das Substrat, als würde sie sich bedanken: „Danke, dass ich hier einziehen darf.“
Die Schale trägt nun Bruchlinien, die Geschichten erzählen. Von Wind. Von Kraft. Von Reparatur. Von Menschen, die nicht wegwerfen, sondern wiederherstellen.
Hast du schon mal eine Schale geklebt?
Wirklich, wann war dein letzter Bruchmoment – am Baum, an der Schale, im Leben? Klingt kitschig, aber manchmal sind Bonsai und Alltag gar nicht so weit auseinander. Brüche gehören dazu. Sie zeigen, wo es mal kracht. Aber sie zeigen auch, wie stark etwas werden kann, wenn man es nicht aufgibt.
Ein kleiner Denkanstoß
Die nächste zerbrochene Schale? Heb sie auf. Bewahre alle Teile auf. Und bevor du sie einfach in den Müll wirfst – denk daran: Kintsugi macht aus dem Makel eine Besonderheit. Aus der Narbe eine Krone. Aus dem Flugversuch einen Teil der Geschichte.
Bonsai-Alltag ist kein Instagram-Filter
Oft sieht man in Bonsai-Foren perfekte Fotos. Makellose Bäume. Makellose Schalen. Makellose Besitzer. Aber Bonsai ist keine gestellte Fotowelt. Es ist Wind. Es ist Regen. Es ist abgebrochene Spitzen, Schädlinge, ständige Kontrolle und immer wieder Staunen.
Und genau das macht es aus. Bonsai ist kein Hobby für Perfektionisten. Es ist ein Weg für Realisten mit Sinn für Schönheit.
Jetzt bist du dran
➡️ Hast du schon mal Kintsugi ausprobiert?
➡️ Liegt bei dir eine Schale, die nur auf ihre goldene Reparatur wartet?
➡️ Oder denkst du noch: „Ach, das lohnt doch nicht…“
Probier es aus. Nimm die kaputte Schale, repariere sie. Stell deinen Baum hinein. Und spüre, wie eine Reparatur auch deinem Bonsai-Geist guttut.
Denn am Ende gilt: Alles, was fällt, kann wieder aufstehen.
Manchmal sogar schöner als zuvor.







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